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The Blessed Road

A Winter Tale by Ruedi Beck


Schneebedeckte Märchenlandschaft. Gemeinhin stellt man sich Winter in der Schweiz so vor. Darstellungen aus unseren Ski-Regionen gehen um die Welt. Sie zeichnen das Bild vom Winterparadies. Leider leben nicht alle Schweizerinnen und Schweizer hoch oben in den Bergen. Wir sind im Berner Mittelland ansässig. Wer ist wir? Wir sind Steffi, Katja, Marco, Niels und ich.

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Bei uns im Flachland sind die Schneetage in jüngster Vergangenheit rar. Diesen Winter lag die weisse Pracht bis Mitte Januar rund eine Woche vor unseren Haustüren. Zu selten. Also entschieden wir uns, dem Schnee einen Besuch abzustatten. Mit dem Fahrrad.

Unser Ziel: Ein in weiss gehüllten Pass. Die Wahl fiel auf den wohl legendärsten Gipfel am Jurasüdfuss. Den Col du Chasseral. Wegen des rund 115m hohen Sendeturms auf der Bergspitze auch bekannt als Mont Ventoux der Schweiz. Zumindest in unseren Kreisen. Wie die meisten Passstrassen wird auch dieser Bergweg in den Wintermonaten nicht vom Schnee befreit. Daher war vor dem Start unklar, ob wir es bis ganz oben schaffen. Was wir aber wussten: An diese Ausfahrt würden wir uns noch lange erinnern. Ungeachtet vom Ausgang unserer Mission.

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Bei Winterfahrten mit vielen Höhenmetern ist die Kleiderwahl entscheidend. So auch am 14. Januar, als wir uns kurz nach Sonnenaufgang von Twann, am Nordufer vom Bielersee, in Richtung Gipfel aufmachten. Fast zwei Stunden «klettern» erwartete uns. Hinauf in den ersehnten Schnee. Inklusive beissend kalten Wind. Dafür ist der Chasseral bekannt. Auch im Sommer. Danach die Abfahrt. Mit Highspeed zurück ins Mitteland. Was ziehst du da an? In den Niederungen waren die Temperaturen mit rund +5 Grad mild. Zudem wussten wir, dass wir im Aufstieg nicht frieren werden. Trotz abnehmender Temperaturen. Bei diesen Anstrengungen wärmt sich der Körper von innen. Respekt hatten wir von der Abfahrt. Wir entschieden uns einheitlich für den langarmigen Baselayer gepaart mit der Deep Winter Jacke. Bis auf Steffi, die auch die Deep Winter Tights trug, wählten wir die Thermal Rain Tights. Dazu Wintersocken, Schuhüberzüge, Handschuhe und Mütze. Die Vorausschauenden nahmen einen trockenen Ersatz-Baselayer mit. Das war’s.

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Noch vor der Abfahrt machten wir den ersten Kaffeestop. In der idyllischen Twanner Altstadt stimmten wir uns bei feinem Gebäck und einem heissen Kaffee auf das Abenteuer ein. Danach ging’s los. Hinein in die Rebberge. Die Aussicht auf den Bielersee und die Schweizer Alpen gaben uns einen extra Motivationsschub. Zu diesem Zeitpunkt waren wir überzeugt, es bis auf den Gipfel zu schaffen. Wir freuten uns bereits auf den feinen Kuchen im Bergrestaurant. Möglichst abseits vom Verkehr schlängelten wir uns den Berg entlang. Durch die Twannschlucht. Danach auf Nebenstrassen nach Lignières. Da hatten wir etwa einen Drittel der Höhenmeter absolviert. Der Schnee war noch immer fern. Die Moral unverändert hoch. Ab Lignières wird es steil. Rasch machten sich unsere elektronischen Schaltungen bemerkbar. Das Piepsen kündigte bald jeder und jedem von uns an, dass wir keine leichteren Gänge mehr zur Verfügung haben. In regelmässigen Tritten kamen wir der Schneegrenze näher.

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Dann endlich der erste Schnee am Strassenrand. Rasch nahm die Schneemenge zu. Die Schneegrenze lag in den vorangegangenen Tagen konstant auf ähnlicher Höhe. Euphorisiert gingen wir in die zweite Haarnadelkurve. Wissend, dass wir bereits bei der nächsten Spitzkehre den legendären Sendeturm vor Augen haben würden. Dann kahmen die ersten Rutscher. Zwar wurde die Stimmung mit jedem Meter eindrücklicher. Alles war weiss. Auch die Strasse. Der Wind klang in den Bäumen. Aber auch die Rutscher wurden häufiger und heftiger. Auf halber Distanz zwischen den beiden Kurven mussten wir absteigen. Krisensitzung. Was machen wir? Fahren konnten wir nicht mehr. Hinauf nicht. Hinunter erst recht nicht. Bis zum Turm waren es noch fast vier Kilometer. Kapitulation? Ausgeschlossen. Wir entschieden uns, den Weg aus dem Wald hinaus zu Fuss zurückzulegen. In der Hoffnung, dass die Sonne den Schnee oberhalb der Waldgrenze weggeschmolzen hat. Dem war nicht so. Erneute Krisensitzung. Der Strasse entlang war der Weg bis zum Gipfel mit fast drei Kilometern noch immer zu weit. Mit diesen Schuhen ein sinnloses Unterfangen. Also starteten wir einen letzten kläglichen Versuch, den Gipfel via Wanderweg zu erreichen. Das Fahrrad auf dem Buckel. So hätte sich die Distanz bis zu unserem ersehnten Ziel halbiert. Rasch füllten sich die Schuhe mit Schnee. Der Wind wehte immer heftiger. Tiefer und tiefer versanken wir im kalten Nass. Krisensitzung zum Dritten. Abbruch der Mission.

Zurück am Seeufer suchten wir in «Le Landeron» Unterschlupf in einem Restaurant. Bei einem feinen Teller Pasta und einem guten Kaffee wärmten wir uns auf. Wir diskutierten über Sinn und Unsinn von Zielen. Darüber, warum wir Fahrrad fahren. Ist es wegen den Statistiken? Den zurückgelegten Kilometern? Der Anzahl erklommener Gipfel? Nein. Wir fahren, um eine gute Zeit zu haben. Um Erinnerungen zu schaffen. So, wie wir es am 14. Januar taten. Mit guten Freundinnen und Freunden. An atemberaubenden Orten. Ein Abenteuer, welches wir so rasch nicht vergessen werden. Ein Tag der uns noch mehr zusammengeschweisst hat. Ein guter Tag. Auch wenn wir es nicht bis zum Sendeturm geschafft haben.

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